Nach Bucheli-Eklat beim SRF: «Wir überlegen uns plötzlich bei harmlosen Formulierungen, ob wir das so sagen können»

Was Angriffe von Klimaskeptikern bei TV-Meteorologen auslösen. Drei Beispiele.

Esthy Baumann-Rüdiger, Florian Schoop
Wolkenbruch beim Thema Wetter: Warum aus dem harmlosen Smalltalk-Thema eine Kontroverse geworden ist.

Wolkenbruch beim Thema Wetter: Warum aus dem harmlosen Smalltalk-Thema eine Kontroverse geworden ist.

Gottfried Czepluch / Imago

Es soll Menschen geben, die sprechen durch den Bildschirm zu ihren TV-Wettermännern und -frauen. So, als wären sie Familienmitglieder. Sie sagen: «Hoi Sandra», wenn Moderatorin Sandra Boner auf dem Dach von «SRF Meteo» erscheint und «Guete Obe mitenand» wünscht. Sie verabschieden sich mit «Tschau, Thomas», wenn Meteorologe Thomas Bucheli die Sendung beendet.

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Für viele haben Menschen wie Boner und Bucheli etwas Vertrautes. Für einige sogar Kult-Charakter. Nicht zuletzt deshalb gehören sie zu den beliebtesten Moderatoren im Fernsehen. Täglich schalten 616� 000 Personen die Abendausgabe von «SRF Meteo» ein. Das entspricht einem Marktanteil von über 50 Prozent. In manchen Jahren sahen sich gar mehr Menschen das Wetter an als die «Tagesschau».

Und das, obwohl heute praktisch jeder auf dem Handy einen Regenradar mit Minutenangabe in der Hosentasche trägt. Eine Studie aus den USA kam 2017 gar zum Schluss, dass die Loyalität gegenüber einem Fernsehsender eher von den Wettermoderatoren abhängt als von den Sprechern der Nachrichten.

Doch seit einigen Jahren hat sich der Himmel über den TV-Meteorologen eingetrübt. Für gewisse Kreise sind sie nämlich nicht die netten Moderatoren von nebenan und schon gar keine kompetenten Wissenschafter. Sondern Zielscheiben für Hass, Aggressionen und Verschwörungserzählungen, die in den sozialen Netzwerken verbreitet werden. Klimaskeptiker werfen ihnen vor, die Menschheit mit falschen Zahlen manipulieren zu wollen – weil Wettermoderatoren in ihren Prognosen den Klimawandel erwähnen, den sie für eine Lüge halten.

Inmitten eines solchen Strudels fand sich jüngst Thomas Bucheli wieder. Der Chef des «Meteo»-Teams von SRF musste sich vor gut zwei Wochen während einer Live-Sendung für falsche Prognosen entschuldigen. Ein Algorithmus-Fehler hatte die Temperaturen im Mittelmeerraum für einige Küstenorte zu hoch berechnet.

Differenzierte Kritik an der Wetterberichterstattung ist angebracht, natürlich müssen sich auch Meteorologen erklären, auch ihnen unterlaufen Fehler.

Aber mit derart heftigen Reaktionen und persönlichen Angriffen hatte Bucheli nicht gerechnet. Er verstand die Welt nicht mehr. Gerade noch war er das freundliche Gesicht von SRF. Und nun soll er – so Kritiker aus den SVP-Reihen – mit falschen Zahlen «Klimapanik» betrieben und damit Wahlkampfhilfe für die Grünen gemacht haben?

Thomas Bucheli ist nicht allein. Dasselbe Schicksal ereilte andere Meteorologinnen und Meteorologen vor ihm. Sie alle haben eines gemein: Sie stehen in der ersten Reihe einer immer feindseliger geführten Debatte über die Klimaerwärmung. TV-Meteorologen sind die Überbringer von schlechten Nachrichten, von höheren Temperaturen, Unwettern oder Stürmen. Und sie sind vermehrt Angriffen ausgesetzt. Im Englischen nennt man das Phänomen «Shoot the messenger», also das Einschiessen auf den Boten von unbequemen Wahrheiten.

Drei Beispiele – und die Antwort auf die Frage, warum das Wetter kein belangloser Smalltalk mehr ist, sondern ein ideologischer Grabenkampf.


Chris Gloninger, 38, der Desillusionierte

Sein Arbeitgeber empfahl Chris Gloninger, statt «Klimawandel» lieber «erwärmende Welt» zu sagen.

Sein Arbeitgeber empfahl Chris Gloninger, statt «Klimawandel» lieber «erwärmende Welt» zu sagen.

Zach Boyden-Holmes / Imago

Es war im August 1991, als Chris Gloningers Faszination fürs Wetter ihren Anfang nahm – an einem Tag, als ein Hurrikan seinen Heimatort im Osten der USA traf und grosse Verwüstungen hinterliess. Später studierte er Meteorologie und wurde Wettermann eines regionalen TV-Senders im konservativen Bundesstaat Iowa.

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Gloningers Aufgabe war es, in seinen Wetterprognosen Bezüge zum Klimawandel herzustellen. So erinnerte er etwa während eines Hochwassers an die wärmer werdende Atmosphäre.

Das passte einigen nicht. Der 38-Jährige wurde beschimpft, er erhielt Todesdrohungen, in denen es hiess, er verbreite eine liberale Verschwörungstheorie zum Wetter – den Klimawandel. Die Attacken wurden immer extremer.

Das vergangene Jahr beschreibt der Meteorologe gegenüber der Zeitung «The Guardian» als schmerzhaft. Seine Arbeitsfreude liess nach, er begann, an stressbedingten Krankheiten zu leiden. Saurer Reflux. Chronischer Husten. Am Ende musste Gloninger in Therapie gehen.

Er habe Angst gehabt, wenn nachts vor dem Haus ein Auto vorbeifuhr. Oder wenn er lange arbeiten musste und seine Frau alleine zu Hause war. «Wir waren zu jeder Zeit wach.»

Der Sender habe ihm gesagt, er soll doch den Begriff Klimawandel nicht mehr verwenden, sondern lieber über «wandelndes Klima» oder eine «erwärmende Welt» sprechen. Damit war Gloninger aber nicht einverstanden.

Der TV-Mann zog die Konsequenzen – und kündigte seinen Job als Wettermann. In einer emotionalen Abschiedsrede sagte er während seiner letzten Sendung: «Es ist schwierig. Meine Frau und ich kauften uns ein Haus, um für immer hier zu bleiben.» Die Drohungen im vergangenen Jahr aber hätten sie erschüttert. Das Paar verkaufte das Haus und zog über zweitausend Kilometer weit weg, nach Boston.


Isabel Moreno, 31, die Kämpferin

Todesdrohungen wegen eines harmlosen Tweets: Isabel Moreno ist immer häufiger mit Hass aus dem Netz konfrontiert.

Todesdrohungen wegen eines harmlosen Tweets: Isabel Moreno ist immer häufiger mit Hass aus dem Netz konfrontiert.

TVE

Sie spreche mit der Kamera wie mit Freunden, sagt Isabel Moreno. Sie liebe das Wetter, sie liebe die Bühne. Somit ist es nicht erstaunlich, dass die Meteorologin bereits seit sechs Jahren eine Wettersendung beim spanischen Fernsehsender TVE moderiert.

In ihrem Team arbeiten nur Meteorologen. Man spricht zwangsläufig nicht nur über das Wetter der nächsten Tage, sondern auch darüber, wie es sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Man redet also auch übers Klima.

Eine wichtige Differenzierung, die in der hitzigen Debatte rund um den Klimawandel nur selten gemacht wird: Das Wetter beschreibt, wie es heute oder morgen aussieht. Klima aber bedeutet, wenn man das Wetter über einen längeren Zeitraum betrachtet. So ist nicht jeder Sturm dem Klimawandel geschuldet. Genauso wenig kann man sagen, dass es so hohe Temperaturen wie derzeit im Sommer schon immer gegeben habe.

Doch solche Unterscheidungen stören all jene, die klare Schuldzuweisungen machen wollen. Und so versuchen alle Seiten, das Wetter für ihre eigenen Überzeugungen zu instrumentalisieren. Mittendrin befinden sich die Meteorologen. Sie können es keiner Seite recht machen. Und so sieht sich auch Isabel Moreno immer mehr Hass ausgesetzt.

Die Moderatorin erzählt, früher habe die Redaktion ab und an aggressive Mails von Anhängern der Chemtrail-Szene erhalten – von Menschen also, die glauben, dass Flugzeuge absichtlich Chemikalien in Form von Kondensstreifen freisetzen, um das Wetter zu manipulieren, die Bevölkerung zu kontrollieren oder Krankheiten zu verbreiten.

Heute aber seien immer mehr Verschwörungserzählungen dazugekommen. Und damit auch viel mehr Hass-Botschaften. «Einige glauben, dass wir ‹die Wahrheit verbergen› würden, dass es keinen Klimawandel gebe und wir mit der Regierung unter einer Decke stecken würden, um .� .� . Ja, warum? Ich weiss es eigentlich gar nicht.» Es seien zwar nicht viele Leute, die so aggressiv auftreten würden. Aber sie seien ziemlich laut, gut organisiert – und es gelänge ihnen, immer wieder Zweifel zu säen in Bezug auf den Klimawandel.

Das hat Moreno am eigenen Leib erfahren. Sie postete im April auf Twitter eine Nachricht mit der Wettervorhersage der folgenden sechs Tage. Da es in Spanien damals praktisch keinen Regen gab, fügte sie an: «Der Regen überspringt Spanien.» Sie erhielt Hunderte von Antworten. «Einige behaupten, wir würden die Wolken mit den Flugzeugen verschwinden lassen, andere haben uns einfach nur beleidigt und mit dem Tod bedroht.»

Am gleichen Tag zögerte Moreno, ihre Moderation mit denselben Worten wie im Tweet einzuleiten. Sie tat es trotzdem, denn: «Science-Fiction darf nicht gegen die Wissenschaft gewinnen.»

Seit dem Vorfall spricht sie noch mehr über den Klimawandel. Sie klärt mehr auf – auch über die wahren Gründe, warum Flugzeuge weisse Streifen am Himmel hinterlassen (es sind Eiswolken, die entstehen, wenn die heissen Abgase der Flugzeuge auf die kalte Luft in der Höhe treffen).


Thomas Bucheli, 62, der Konsternierte

Als wären 30 Jahre seiner Arbeit verpufft: So fühlte sich Thomas Bucheli nach den Angriffen wegen falscher Prognosen.

Als wären 30 Jahre seiner Arbeit verpufft: So fühlte sich Thomas Bucheli nach den Angriffen wegen falscher Prognosen.

Alex Spichale / AZM

Wenn der Chef von «SRF Meteo» vor die Kameras tritt, ist er in seinem Element. Seit Jahrzehnten sendet er seine Begeisterung in die Schweizer Wohnzimmer. Doch am 9.� August erlitt seine Euphorie einen harten Dämpfer. Bucheli – Hemd rosa, Himmel bewölkt – stieg aufs Dach des Fernsehsenders SRF und sagte: «Sie haben es vielleicht gehört, die ‹Weltwoche› hat uns vorgeworfen, wir würden die Temperaturen absichtlich höher machen, als sie sind – um die Klimadiskussion anzukurbeln.»

Bucheli wirkt konsterniert. Und weist die Vorwürfe vehement zurück. Dennoch entschuldigt er sich für falsche Prognosen – «in aller Form».

Die letzten Tage haben bei ihm sichtlich Spuren hinterlassen. Er habe kurzzeitig den Glauben an die Zukunft der Menschheit verloren, sagt Bucheli später im Gespräch. «So, als wären 30 Jahre meiner Arbeit einfach verpufft.» Der erfahrene TV-Moderator, seit 1992 auf Sendung, habe sich instrumentalisieren lassen, so der Vorwurf. SVP-Nationalrat Thomas Matter sprach von «Klimahysterie» und von Wahlkampfhilfe für die Linken.

Was machen diese Vorwürfe mit einem Meteorologen, dessen wichtigste Eigenschaft die Glaubwürdigkeit ist? Bucheli sagt: «Wir überlegen uns plötzlich bei eigentlich harmlosen Formulierungen, ob wir das so sagen können. Oder ob wir uns damit angreifbar machen.» Auch bei der Auswahl der eingeblendeten Bilder sei man heute kritischer. Wenn es etwa um Hitze oder Trockenheit geht, muss es dann ein Bild eines schmelzenden Gletschers sein – oder reicht auch ein trockenes Feld?

Den Klimawandel will Bucheli aber in den «Meteo»-Sendungen nicht ganz weglassen. «Wir werden auch künftig darüber sprechen, wenn es sich fachlich oder thematisch anbietet.»

Wie konnte es so weit kommen?

Jedes Wort auf die Goldschale legen, möglichst wenig Angriffsfläche bieten: Das kennen viele Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Klima beschäftigen. In einer Umfrage aus dem Jahr 2015 gab die Mehrheit der befragten Klimaforscher an, dass die massive Kritik von Klimaskeptikern ihre Arbeit beeinflusse. Sie würden sich vorsichtiger äussern. Und waren weniger bereit, in den Medien als Experten aufzutreten – aus Angst vor Anfeindungen.

Das hat Folgen für die Forschung. Wie politische Kontroversen die Wissenschaft beeinflussen, zeigte eine andere Untersuchung. Demnach befassen sich viele Forscherinnen und Forscher nicht mit Themen, die sie am meisten interessieren. Sondern mit solchen, die am meisten Zuspruch in der Gesellschaft erhalten.

Doch wie ist es so weit gekommen, dass aus dem Wetter ein ideologischer Kampf geworden ist, der gleichermassen am Küchentisch, im Verein oder im Parlament mit hitzigen Debatten ausgefochten wird?

Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich, beantwortete die Frage in der SRF-Talkshow «Club» jüngst so:

Weil aus dem Wetter Klima gemacht wird.

Und Klima gleichgesetzt wird mit Klimaschutz.

Klimaschutz ist immer ein Kampf zwischen links und rechts, zwischen dem Staat und der Freiheit des Individuums.

Deshalb ist das Wetter kein Thema mehr für eine nette Plauderei. Sondern ein Schlachtfeld der Ideologien.

Und deshalb sind Fernseh-Meteorologen für gewisse Kreise auch keine kultigen TV-Sprecher mehr. Sondern Überbringer einer Tatsache, die sie nicht hören wollen.

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